Allgemein
Marketing im Turbomodus
24. November 2025
Was in drei Monaten passiert ist, wofür wir früher drei Jahre hatten
Ich wollte diesen Text eigentlich viel früher schreiben.
So ein klassischer Jahresend-Artikel: bisschen Rückblick, bisschen Ausblick, ein, zwei halbwegs kluge Gedanken und fertig.
Die Realität 2025 war eher so: Ich setze an – und während ich noch den ersten Satz formuliere, kommen schon wieder drei Meldungen rein, die man eigentlich auch erklären müsste. Und zwischen all dem sind da ja noch Kampagnen, Pitches, Launches und ganz normale Kundentermine.
Irgendwann habe ich gemerkt: Wenn ich warte, bis es ruhiger wird, gibt es diesen Artikel nie. Also schreibe ich jetzt mittendrin. Mitten im absurd schnellen Marketing-Endspurt kurz vor Weihnachten.
Und genau darum geht es: um Geschwindigkeit. Darum, wie sich Updates, Modelle, Tools und Deals stapeln – und warum wir intern gerade nicht nur Workflows, sondern teilweise auch Jobs neu denken.
KI ist nicht mehr „das Neue“ – sie ist die Basis
Wenn ich einen Moment nennen müsste, an dem klar wurde, dass wir im KI-Bereich in eine neue Liga rutschen, dann wäre es die Vorstellung von Gemini 3 gewesen.
Google verkauft das Modell als „das intelligenteste, das sie je gebaut haben“ – mit deutlich besserer multimodaler Verarbeitung (Text, Bild, Audio, Video), mehr Kontexttiefe und stärkerem Reasoning. Es taucht in Search, im Gemini-App-Ökosystem und in Enterprise-Produkten auf – und das alles ziemlich gleichzeitig.
Interessant ist weniger das Wording, sondern die Dynamik dahinter:
Vor nicht allzu langer Zeit war das Narrativ ziemlich eindeutig – „OpenAI hat Google abgehängt“. Jetzt merken viele: So einfach ist das nicht. Qualität ist keine abgeschlossene Frage, sondern ein Ping-Pong-Spiel. Das Rennen ist offen, und die Rundenzeiten werden kürzer.
Für unsere Arbeit heißt das: Wir können uns nicht auf „das eine“ Modell einschießen. Wer heute alles auf einen Player setzt, könnte sich nächstes Jahr sehr wundern. Wir testen parallel, vergleichen Ergebnisse, nutzen unterschiedliche Stärken – und müssen gleichzeitig dafür sorgen, dass nicht alle Prozesse explodieren, nur weil das nächste Modell schon wieder eine neue API, einen neuen Modus oder noch mehr Kontextlänge mitbringt.
SEO-Events: zwischen Beerdigung und Goldrausch
So richtig spürbar wurde diese Spannung für mich beim diesjährigen SEO Day.
Es ging – gefühlt – nur noch um KI.
Die Stimmung lag irgendwo zwischen „Wir begraben gerade alte Arbeitsweisen“ und „Wir stehen mitten im Goldrausch“.
- Ein Teil der Gespräche war von echter Sorge geprägt: Was passiert mit klassischen SEO-Jobs, wenn KI einen großen Teil der Recherche, ersten Entwürfe und Analysen übernimmt?
- Der andere Teil war aufgeladen von Möglichkeiten: neue Produkte, neue Strategien, völlig andere Geschwindigkeit.
Ich fand diesen Mix ziemlich ehrlich. Denn genau so fühlt sich 2025 an:
Nicht „KI nimmt alles weg“, sondern „KI verschiebt alles“.
Und das passiert nicht in PowerPoint-Folien, sondern in unseren Kalendern, Tickets und To-do-Listen.
Design-Tools im Overdrive: Canva, Affinity und die „Free forever“-Ansage
Während auf der einen Seite KI-Modelle um die Wette iterieren, sortiert sich der Designmarkt neu – und zwar im selben Tempo.
Canva hat Affinity nicht nur übernommen, sondern komplett neu aufgesetzt: ein All-in-One-Designtool, das Bildbearbeitung, Vektor-Design und Layout in einer App vereint – und das Ganze „free for everyone“, dauerhaft. Dazu tiefe Integration ins Canva-Ökosystem und AI-Funktionen oben drauf.
Übersetzung:
Professionelle Designsoftware, die früher eine Budgetfrage war, ist plötzlich für praktisch alle erreichbar. Das ist großartig – und gleichzeitig verschiebt es Erwartungen. Wenn Tools schneller, günstiger (oder gleich kostenlos) und besser werden, steigt der Druck auf Workflows und auf das, was „normaler“ Output ist.
„Mach mal schnell“ bekommt damit eine ganz neue Bedeutung. Nicht unbedingt gesünder, aber sehr real.
Adobe + Semrush: Wenn Kreativsoftware sich SEO einkauft
Als wäre das nicht genug, hat Adobe dann noch angekündigt, Semrush für rund 1,9 Milliarden US-Dollar zu kaufen. Ziel: das eigene Marketing- und Daten-Ökosystem stärken, mehr Einblick in Sichtbarkeit, SEO-Performance und Markenpräsenz in Such- und KI-Oberflächen.
Ich gebe zu: Semrush war nie mein Lieblings-Tool. Nicht schlimm, Geschmackssache.
Aber der Deal selbst ist spannend.
Weil er zeigt, was gerade passiert: SEO, Content, Kreativarbeit, Performance-Marketing und Datenanalyse werden nicht nur organisatorisch zusammengedacht – sie werden technologisch verschmolzen.
Ein Konzern, der für Photoshop, Illustrator & Co. steht, kauft sich eine SEO- und Marketing-Data-Plattform. Das ist kein Nischendeal. Das ist ein ziemlich lautes Signal.
Was das intern mit uns macht: Up-Skilling, Re-Skilling, „Neu-Skilling“
Diese Geschwindigkeit bleibt natürlich nicht draußen vor der Tür, während wir in der Agentur so tun, als wäre alles wie immer.
Wir merken intern: Rollen verändern sich.
Jobs, die früher sehr klar umrissen waren, werden breiter oder verschieben sich ganz.
- Menschen, die bisher „nur“ Text gemacht haben, arbeiten plötzlich viel stärker mit KI-Tools, Daten und Prompting.
- Kolleg*innen aus der Entwicklung bauen Agenten-Workflows statt nur Websites.
- Wir diskutieren offen, wo KI Routineanteile übernehmen darf, damit wir uns auf Konzept, Strategie und Qualität konzentrieren können.
Das führt zu etwas, das sich nicht besonders sexy anhört, aber sehr wichtig ist: Up-Skilling, Re-Skilling, teilweise Neuverteilung von Aufgaben.
Es geht nicht darum, Menschen zu ersetzen, sondern darum, sie so zu positionieren, dass diese Geschwindigkeit nicht nur Stress erzeugt, sondern Wert. Und dafür müssen wir als Team anders arbeiten als noch vor ein, zwei Jahren.
GEO: AI-Optimierung ist keine Randnotiz mehr
Ein konkretes Ergebnis dieser Entwicklung ist, dass GEO (Generative Engine Optimization) bei uns einen ganz anderen Stellenwert bekommen hat als noch vor kurzem.
GEO bedeutet im Kern: Inhalte so aufzubereiten, dass nicht nur klassische Suchmaschinen sie mögen, sondern auch generative KI-Systeme – also ChatGPT, Gemini, Copilot & Co. Sie suchen, sortieren und gewichten anders: weniger reine Keywords, mehr Zusammenhänge, Quellenqualität, Struktur, Signale von außen.
In der Praxis heißt das für uns:
Wir optimieren nicht mehr nur für „Positionen in den Suchergebnissen“, sondern dafür, wie Marken und Inhalte in Antworten, Übersichten, Empfehlungen und generierten Snippets auftauchen.
Und genau da kommt wieder die Geschwindigkeit ins Spiel:
KI-Antworten können sich gefühlt von einem Tag auf den anderen ändern, neue Modelle bringen neue Gewichtungen, neue Integrationen (z. B. in Search selbst) verschieben Sichtbarkeit. Wer da mitspielen will, braucht Prozesse, die sich mitbewegen können – und ein Team, das versteht, wie diese Systeme denken.
Und nebenbei wird alles schneller – sogar Schilder
Während wir also über multimodale Modelle, AI-Optimierung und Milliarden-Deals sprechen, passiert noch etwas sehr Handfestes: Selbst Dinge, die früher eher langsam waren, haben den Temposchub abbekommen.
Ein Beispiel sind unsere SmartDisplays im Bereich Digital Signage. Früher hieß es: Layout bauen, Plakat drucken, aufstellen, hoffen. Heute: Inhalte per WLAN oder USB aktualisieren, neu bespielen, Kampagnen anpassen, ohne überhaupt vor Ort sein zu müssen.
Der Weg von „Idee“ zu „sichtbar am POS“ ist kürzer geworden. Nicht nur digital, sondern physisch. Und das passt perfekt in dieses Jahr: Alles, was träge war, wird gerade beschleunigt.
Formate in einer Welt voller Bots – und warum Basics nicht verhandelbar sind
Zwischen all diesen Entwicklungen stellen wir uns gerade eine zentrale Frage:
Wie bleiben wir menschlich relevant in einer Welt, in der Bots, Agenten und Modelle immer lauter werden?
Für uns heißt das: Wir brauchen Formate, in denen es nicht nur um News, Releases und Patchnotes geht, sondern auch um Einordnung. Und um das, was viele gerade unterschätzen: die Grundlagen.
Denn ein Effekt dieses KI-Hypes ist, dass manche glauben, sie könnten Basics einfach überspringen.
Technische Sauberkeit? Sauberes Tracking? Klarer Content-Fokus? Stimmige Architektur?
„Regelt schon KI.“
Tut sie nicht. Im Gegenteil: Wenn die Basis nicht stimmt, verstärkt KI auch gerne mal die falschen Signale. Und dann gibt es keinen Boost – sondern Stress.
Deshalb denken wir gerade über ein Format nach, das genau da ansetzt: ein Raum, in dem wir über Entwicklungen sprechen, aber genauso über Essentials, über echte Probleme aus dem Alltag und darüber, wo Menschen mit gesunder Skepsis und Erfahrung wichtiger sind als jede Automatisierung.
Genau deshalb freue ich mich auf den Release des Podcasts „Pitch nach 3“ mit Jenny und Roman. Bei dem wir zu dritt über Werbung aus verschiedenen Perspektiven sprechen, um die Ebenen besser zu verstehen und kennenzulernen und mit denen zu teilen, die grade im Marketing einen Fuß auf den Boden bekommen wollen – ganz gleich ob als Trainee, Quereinsteiger oder jemand, der einfach niemanden für Sparring hat.
Key Takeaways – falls du nur scrollen wolltest
- Geschwindigkeit ist nicht mehr Nebeneffekt, sondern Systemzustand. Modelle, Tools und Plattformen entwickeln sich so schnell, dass „wir warten mal ab“ keine ernsthafte Option mehr ist.
- KI ist kein Extra, sondern Infrastruktur. Mit Gemini 3 und Co. wird klar: Wer Marketing ohne KI plant, plant an der Realität vorbei. Die Frage ist nicht „ob“, sondern „wie klug“.
- Märkte verschmelzen – kreativ + datengetrieben. Canva/Affinity und der Adobe–Semrush-Deal zeigen: Design, SEO und Marketingdaten gehören jetzt offiziell in einen Raum.
- Agenturen müssen Rollen neu denken. Up-Skilling, Re-Skilling und neue Verantwortlichkeiten sind kein „Projekt“, sondern laufender Prozess.
- GEO wird vom Buzzword zum Pflichtprogramm. Wer in KI-Antworten, AI Overviews und Chatbots vorkommen will, muss Inhalte für generative Systeme optimieren – nicht nur für klassische SERPs.
- Selbst Offline-Medien werden Echtzeit-fähig. Digital Signage zeigt, wie schnell „statische“ Touchpoints plötzlich dynamisch und updatebar werden.
- In einer Welt voller Bots werden Basics und Menschlichkeit wichtiger, nicht unwichtiger. Wer glaubt, KI könne schlechte Grundlagen kompensieren, baut sich nur schnelleren Ärger.
Wenn du beim Lesen genickt, den Kopf geschüttelt oder beides gleichzeitig gemacht hast und wissen willst, wie wir diese Geschwindigkeit konkret für Marken nutzen: meld dich einfach.
Langsamer wird es nicht.
Aber wir können gemeinsam dafür sorgen, dass es sinnvoll bleibt.
